Huhn und Ei und Rebellion
Die Frage nach Ursache und Wirkung bewegt die Welt. Ständig. Denn hier geht es um viel Geld! Schließlich regelt die Antwort darauf, in welchen zeitlichen Ablauf ein Geschehnis zu bringen ist, und wer oder welcher Umstand dafür verantwortlich ist. Bei einem Unfallbericht ist dies genauso wichtig, wie bei einem Patent, oder einem Stück Musik. Hier wird das durch StVO, Patentamt und GEMA klar geregelt. Nun gibt es aber Fälle, bei denen musikalisches Genie und neue Technik zusammentreffen und einen Trend für Generationen schaffen.
Ich will mich hier durch die Frage quälen: Was hat entscheidende Trends hervorgerufen? Das musikalische Genie, oder die Technik?
So banal, wie die Frage klingt, ist sie gar nicht.
Unbekannte Musiker sind in aller Regel nicht vermögend. Die Instrumentenindustrie schon. Endorsements sind heute eine normale Werbemethode. Dabei kommen oft Musiker an die große Öffentlichkeit, von denen man bis dahin kaum etwas gehört hat. Steve Vai hat seine erste Platte noch zu hause auf einer 8 Spur Maschine eingespielt. Seine damalige Gitarre hatte auch noch keinen "Affengriff". Ohne respektlos zu sein, darf man davon ausgehen, daß er ohne die ganzseitigen Anzeigen in allen Fachzeitschriften wohl kaum zu seinem heutigen Status gekommen wäre. In der heutigen Zeit ist das nicht ungewöhnlich. Sportler und Schauspieler machen es auch nicht anders.
Wie aber lief das in den 60er, 70er Jahren? Zusammenarbeit mit der Industrie? Endorsements? Gab es kaum! Da wurden Lautsprecher mit Rasierklingen eingeritzt, Verstärker mit Röhrenradios und selbst gebastelten Effekten überfahren, damit es mehr zerrte, Gitarren angesteckt, geschlagen und malträtiert. Im Gegensatz zur Jetztzeit wußten die Gitarren - und Verstärkerhersteller gewiß nicht, was die Musiker mit ihren Teilen anstellen würden. Ich bin sicher, das mancher Hersteller geradezu schockiert war. Und genau das war auch beabsichtigt. Diese Musik war ein Schlag ins Gesicht der Bürger. Sie blies, nicht nur musikalische Konventionen, durch ungezügelte Wildheit und Lautstärke einfach weg!
Auf diesem Hintergrund kann man sagen, das musikalische Genie war in dieser Epoche sehr viel schneller und impulsiver, als die Technik, die ihm zur Verfügung stand. Niemand verschenkte damals Gitarren an langhaarige Rebellen zu Werbezwecken, und darum konnte Hendrix als Linkshänder nur zwischen einer gekauften Strat und einer Flying -V wählen. Letztere hatte kein Tremolo. Nun kann man Hendrix nicht mehr fragen, warum er gerade dieses Instrument spielte. Sicher hätte er, wenn er heute leben würde, auf die Zusammenarbeit mit der Musikindustrie zurückgegriffen. Damals jedoch hatten die Hersteller noch keine Ahnung von dem gewaltigen Werbepotential, was in diesem Mann und seinem Werk steckt.
Heute wärmt die Industrie erfolgreiche Trends vergangener Dekaden so geschickt auf, daß man die Revolution der 60er im Ikea Wohnzimmer noch immer als eigenen, progressiven Akt erleben darf.
Ich kann darüber lächeln, daß die Kids wieder in Plateau Schuhen herumlaufen, ich kann das Radio abschalten, wenn ein Hit aus den 50ern zum 10ten mal , und jetzt als Rap aufgewärmt wird und ich kann mich darüber amüsieren, wenn jemand ernsthaft versucht, als Rechtshänder auf einer Linkshändergitarre zu spielen. Was ich jedoch nicht mehr ertragen kann, sind Leute die behaupten, "den Gitarrensound" und "das Musikgefühl" hätten halt nur die Helden vergangener Dekaden besessen. Hört dieser Unsinn denn nie auf? Müssen wir in 10 Jahren die Pickups wieder festnageln, weil Eddi Van Halen es tat? Werden Ibanez JAM’s in 20 Jahren vintage, wenn sie im Originalzustand sind? Ich kenne keine Gruppe, die sich so bemüht, progressiv ,extrovertiert und unangepaßt zu erscheinen und dabei so erzkonservativ ist, wie Rockmusiker!
Es ist egal, wohin man in der Kunstgeschichte schaut. Genies, ob Van Gogh, Picasso, Bach, Zappa, Hendrix, oder wer auch immer taten eben nicht, was zu ihrer Zeit angesagt war! Sie reproduzierten nicht, sondern produzierten. Neues. Das machte sie aus. Das schaffte richtungsweisende Veränderungen.
Als Musikliebhaber kann man das Werk dieser Menschen verehren. Es ist sogar eine wichtige Aufgabe, vergangene Kultur zu archivieren und weiter zu geben, damit sie nicht verloren geht. Man kann als reproduzierender Musiker darüber hinaus sogar Geld damit verdienen. Wer die Kunst der alten Meister und ihre Mittel jedoch zum Status quo erhebt, predigt ewige Rückschau und damit das Ende jeder musikalischen und technischen Entwicklung. Dies hat gar nichts von dem Geist, dem Spirt, den Vibes der alten Meister!
Wenn Anne Sophie Mutter Werke von Pagannini, Vivaldi, Bach, oder sonst wem spielt, so tut sie das mit einem unglaublichen Ton und einer atemberaubenden Kunstfertigkeit. Das ist virtuos, ernst, emotional, schön, aber gewiß nicht progressiv. Sie verkauft ihre Fähigkeiten, aber keine Epoche. Es wäre lächerlich, würde sich diese Solistin dabei in historischen Gewändern und gepuderter Perücke bewegen.
Es wird Zeit, daß wir aufhören, auf Eiern zu brüten, aus denen die Küken längst geschlüpft sind. Die reproduzierende Kunst besitzt fesche Anzüge und frisierte Haare. Klassiker und Tanzmusiker haben da den Rockern, nicht nur bei den Gagen, einiges voraus.