Schön und gut - Vol. 2
1997 hat sich die Stiftung Warentest mit elektrischen Gitarren befaßt. Sie gingen dabei mit der selben maschinenbauerischen Akribie heran, wie man es bei ihren Tests von Gepäckträgern, Haartrocknern oder Waschmaschinen kennt und schätzt. Darauf ging ein Aufschrei durch die Szene der Instrumentenliebhaber.
Der Test verlief sehr aufwändig und außerordentlich objektiv. Verschiedene Instrumente einer "Familie", z.B. F.S. Original und diverse Kopien aus Fernost wurden zuerst im Labor auf Klangspektrum, Tonreinheit und Verstimmungsfreiheit geprüft. Danach checkte sie ein Gitarrenbauer auf Werkseinstellung und Verarbeitung und zum Schluß wurden sie, verdeckt durch einen Vorhang, einer Jury vorgespielt. Die Ergebnisse dieses Tests waren für Musiker und Musikalienhändler gleichermaßen inakzeptabel und so verschwand er im Altpapier um eine zweite Chance zur segensreicheren Verbreitung von Information zu erhalten...
Aber was hatten die Warentester so unerhörtes getan, daß jeder, der schon einmal eine Gitarre in der Hand hatte, diese Tester gerne in eine Dornenhecke gestoßen, und dieselbe am liebsten in einen Mähdrescher gesteckt hätte? Sie haben doch nur Waren getestet!?
Eben! Respektlos haben sie analysiert, technisch bewertet und den Glamour, den Sex durch einen Vorhang abgeschirmt. Sie haben die Gitarre ihrer Mystik beraubt! Es ist doch wohl so: Bei Musik geht es um alles; Ausstrahlung, Sex, Schuld und Sühne, Herz und Schmerz, Sehnsucht und feuchte Träume - nur nicht um objektive Betrachtungen. Es läßt sich am ehesten so vergleichen: Würde ein Maschinenbau - Frischling bei Harly Davidson daherkommen und das krachende Getriebe abschaffen, so wäre das der wahrscheinlich Untergang der Firma. Mit Instrumenten ist das kaum anders. Niemand will wissen, wie einfach, preiswert und komfortabel das Leben mit einem modernen X- beliebigen Durchschnittsinstrument sein könnte. Technik? OK, wenn sie nicht stört, aber mit Sex’n Emotion! Wer sich für ein Plagiat entschieden hat, entschuldigt er sich später oft mit dem Satz:" ...für eine Kopie ein ziemlich gutes Instrument,... oder?" Dabei wird es, und selbst wenn es ein wirklich gutes Teil ist, für den Besitzer stets ein Stiefkind bleiben, das weniger Liebe erhält, als das Original Verehrung. Die Auseinandersetzung mit dem Instrument steht sehr oft in einem analogen Verhältnis zu dem Wert, den der Besitzer dem Gerät zumißt und nicht zuletzt zu dem, was er dafür hingeblättert hat.
Wer sein letztes Geld in das Objekt seiner Begierde gesteckt hat, setzt sich in der Regel damit auch auseinander. Im Extremfall führt das dazu, daß er mit allen Tricks Fehler am Instrument ausbügelt, die er für seine eigenen hält. Durch die große Achtung vor dem Hersteller und die noch größere Leidenschaft für die neue Liebe kommt er gar nicht auf den Gedanken, daß ein Makel beim Instrument liegen könnte, sondern arbeitet und kämpft, bis er das Problem im Griff hat. Wie doof, könnte man jetzt meinen, quält sich mit einem Hindernis herum und sucht den Fehler bei sich! Ich finde das gar nicht so schlecht. Was ist denn schon perfekt in dieser Welt? Hier wächst ein Musiker mit seinem Instrument zusammen. Man könnte diesen Vorgang auch mit dem Begriff "Einspielung" umschreiben. Eigentlich versteht man unter dem Einspielvorgang eine Veränderung des Holzes durch die Schwingung. Ich bin jedoch inzwischen unsicher, ob sich das elektrische Instrument dabei wesentlich verändert. Bei dieser Betrachtung ist das auch unwesentlich. Entscheidend ist, daß ein Instrument, das man schön findet und von dem man sich aus irgend einem Grunde angezogen fühlt, auch ein Ansporn zum Spielen ist. Wenn das Instrument nach einiger Zeit besser wird, was die Regel ist, so kann das daran liegen, daß es sich in der Hand des Spielers verbessert hat, es kann genauso gut sein, daß die Auseinandersetzung mit dem Gerät den Musiker verbessert hat. Wen interessiert’s, solange etwas gutes herauskommt. Ein "schlechtes", aber geliebtes Instrument kann daher viel besser sein als ein gutes, das in der Hand des Besitzers keine Achtung findet.
Es gibt ein anerkanntes Werk eines Geigenbauers, in dem er alle denkbaren baulichen Veränderungen an Geigen physikalisch vermißt. Auf mehreren hundert Seiten wird gemessen, geprüft und ausgefuchst ermittelt und zum Schluß liest man den klugen Satz, daß sich Decke und Boden einer guten Geige zu verhalten haben, wie Mann und Frau in einer guten Ehe.
Ich erweitere diesen Satz jetzt auf das Verhältnis zwischen Instrument und Musiker: Scheinehen, Verkorkste Beziehungen, kurze Leidenschaften, fruchtlose Bemühungen und alle Schattierungen dazwischen sind bis zur großen Liebe in der Entwicklung jedes Musikers unvermeidbar. Mehr noch; sie sind ein Teil musikalischer Reife. Anfänger, so schrieb ich letzen Monat, brauchen einen Ratgeber. Später gibt es nur noch eine Referenz:
Das eigene Gefühl!