Haben Sie sich an Handys gewöhnt?

W. Kraushaar 01/2004

Ich nicht. Es gelingt mir nicht. Sicher, alles schleift sich ab mit der Zeit. Die Aversion gegen Menschen, die in der Öffentlichkeit Intimitäten in die Handmuschel zwitschern ist dem allgemeinen Desinteresse gewichen. Neulich stand so ein Kerl vor meinem Fenster, der wohl „ganz schlechtes Netz“ hatte und brüllte unablässig in sein Kommunikationswunder: „Ich liebe dich – waas? Ich habe gesagt, dass ich dich liebe – lieeebe – dass ich dich liehiebää! – waas?...“ Ist mir inzwischen egal – regt mich nicht mehr auf....

Bei den persönlichen Freunden, die Gespräche in meiner Anwesenheit führen, oder besser führten, habe ich mir genau diese Rüpelhaftigkeit zu eigen gemacht und frage gerne, oft und unangemessen laut in das Gespräch, wer denn dran sei und worum es gehe. Ob es dazu beigetragen hat, weiß ich nicht, aber sie verlassen jetzt in meiner Gegenwart den Raum, wenn sie telefonieren. Gut so!
Was mich jedoch nach wie vor konsterniert, ja tief verstört, ist die offenbare Abhängigkeit zum Handy, wie sie meine Freunde ständig und öffentlich zur Schau stellen.

Neulich wies einer meiner Mitmusiker den anderen an, er möge seine Ehefrau anrufen, um der mitzuteilen, dass er – der Ehemann – sein Handy im gemeinsamen ehelichen Haushalt vergessen habe und darum jetzt für sie, die Ehegattin, nicht erreichbar sei.
Welche Fürsorge – welche Weitsicht – welcher Segen moderner Informationstechnik. Ich war beeindruckt! Diese Mitteilung hat vermutlich der guten Frau den Abend gerettet.
Man stelle sich vor, sie hätte ihren Mann dringend erreichen müssen um ihm mitzuteilen, dass sie ihn, wie verabredet, in 5 Minuten trifft. (90% aller Telefonate transportieren ja bekanntlich lebenswichtige Inhalte, wie: Ich stehe jetzt vor deiner Tür – machst du auf? Oder Alemania – 4:0 – ach du hörst auch gerade – toll was?...)
Aber statt des gewohnten „Hallo“ ihres Mannes hätte es nur unablässig aus der Sofaritze neben ihr geklingelt – von wo es nicht hätte klingeln dürfen, weil der Mann doch gar nicht in der Ritze, sondern im Proberaum schwitzte.
Eine unentwirrbare Verstrickung der Dinge wäre die Folge gewesen. Irresinn!!
Da ich, es ist ja inzwischen völlig normal, in den Informationsfluss ungewollt eingebunden war, nutzte ich die Gelegenheit, mich gewollt zu amüsieren.

Weniger spaßig anzusehen ist jedoch ist der Griff zum mobilen Daseinsplaner, wenn die Informations- Aorta für Minuten abgeklemmt werden musste; wenn die Lebensmanager aus dem Vakuum einer Veranstaltung mit Handyverbot tauchen:
Wie Erstickende reißen sie den Quatschriegel aus dem Sakko und suchen das „Netz“. Hektisches steppen durch das Menü bestätigt, dass verschiedene Menschen kein Gespräch zustande bekommen haben. Sofort wird durch SMS und Rückrufe richtig gestellt, dass man für den Moment den Informationszugang, nicht aber die Existenzberechtigung aufgegeben hatte. Wichtige Sätze und Zeilen der Abbitte führen sie wieder in den Fluss des modernen Lebens...
Für Menschen, die so mit Alkohol oder Nikotin verfahren, hat man heute nur noch Mitleid übrig. Arme, bedauerliche Marionetten, die an den Strippen ihrer Sucht zappeln. Es ist noch keine 30 Jahre her, da soff und rauchte man öffentlich, was das Zeug hielt. Es galt als modern und gesellig. Dagegen zu sein, war nicht ratsam. Selbst Nichtraucher und Antialkoholiker hatten Stoff und Kippen im Haus. Inzwischen ist man aufgeklärt und geht ganz anders mit den Dingen...
Wie kam ich denn jetzt darauf? Egal.

Während mich diese Betrachtungen noch streckenweise belustigen, werde ich stinksauer, wenn mein Gegenüber im Gespräch mit mir beginnt, durch das Menü seiner 1 Euro Sekretärin zu steppen. Dieser Höhepunkt zwischenmenschlicher Ignoranz ist nur noch durch Haushalts-Verrichtungen beim Geschlechtsverkehr, Petting mit der Linken beim Ausräumen der Spülmaschine zu toppen! Obwohl – vielleicht liegt gerade dabei eine besondere Aufmerksamkeit und ein besonderer Reiz auf dem anderen Geschlecht. Die Begierde ist ein verschlungener Pfad...
Anders, als die Datenautobahn: Den digitalen Bits auf dem Display wird ein größerer Wert beigemessen, als den analogen Tatsachen, die zeitgleich vor dem Handy stattfinden. Größere Pausen in meinen Sätzen lassen den Knöpfedrücker kurz aufsehen, Weitersprechen entlässt ihn wieder in die Menüführung. Ich werde demnächst mal probieren was geschieht, wenn ich währenddessen von der Übernahme der Weltmacht schwadroniere, oder sexuelle Phantasien mit den Kindern meines Gegenübers ausschmücke.
Aber nein! Das geht ja nicht! Der Spaß wird ja nur verstanden, wenn ich ihn zugleich als SMS sende, wozu ich beim Erzählen genauso wenig in der Lage bin, wie mein Freund beim Menüsteppen zuhören kann.
Es ist ein bedauerliches Nebeneinander!

Am aller, aller schrecklichsten aber finde ich die jungen Teens, die sich wie Zombies durch die Welt schleppen. Ihr Anblick tut mir in den Augen weh! Früher zeigten junge Leute pralles Leben - freche, frivole stramme Eigensinnigkeit. Wo einmal junge Heißsporne balzten und kecke Rehlein über die Schulter zwinkerten, herrscht heute soziales Wachkoma! Der Nachwuchs ist nicht mehr ewig jung, sondern untot! Junge Mädels latschen wie Kühe übers Trottoir, nach vorn gebeugt, den Daumen auf dem neuen Erickson Sowieso mit Jamba! Denen pfeift Mann nicht mehr hinterher, sondern hilft ihnen über die Strasse. Die Kerls hängen derweil wie Junkys in der Ecke der Bushalte, glotzen paralysiert auf das Display und sondern in regelmäßigen Abständen Schleim aus der Mundhöhle ab. Leere, tranige Gestalten mit dem Sex und der Ausstrahlung von Parkinson Kranken im Endstadium. Ich weiß, es geht mich nichts an, aber ich kann mir auch kaum mehr vorstellen, wie in dieser Generation gevögelt wird:

Vielleicht so?

...Er wird als erster fertig, als bei ihr das Handy klingelt. Sie geht nicht dran – Frauen brauchen eben länger – sie will ihm gleich antworten – per SMS: „Ja, ich liebe Dich auch!“
Er versucht es wieder und wieder.
Nichts!
Endlich nimmt sie an.
„Ja?“ haucht sie – noch immer glühend.

Sein Faustschlag trifft sie hart am Auge: „Schlampe, wo bist du gewesen?“