Ich will Gitarrenbauer werden!
Die folgenden Zeilen sind nicht als Maßgabe zur Bewerbung bei irgendeinem Gitarrenbaubetrieb zu verstehen, sondern geben meine persönliche Meinung wieder.
Im Frühjahr trudeln immer die Bewerbungen ein. Ich erkenne sie bereits an der handgeschriebenen Adresse, dem Format, dem Gewicht... ein Dossier halt.
Nach dem Öffnen tun sich mir mehr oder weniger liebevolle Vorstellungen auf. Die Vorstellung der Person und deren Vorstellung von unserem Beruf.
Über die Vorstellung einer Person möchte ich mich nicht weiter auslassen, außer dass ich schlampige Selbstdarstellungen direkt in den Papierkorb versenke. Unser Beruf verlangt Genauigkeit und Augenmaß. Der Wille dazu ist schon an einer Bewerbung zu sehen und ein schief gefalteter Briefbogen kommt bei mir so an wie ein Zungenpiercing beim Logopäden.
Danach kommt die Darstellung der Motivation: Meist ist darin zu lesen, dass der Bewerber begeistert Gitarre spielt. Nicht selten liegen Zeugnisse von Musikschulen oder -Lehrern bei, die die musikalische Begabung des Bewerbers preisen. Prima.
Aber dann, man mag mich für einen alten Knochen halten, kommt bei mir die Frage: "Was hat das mit meinem Beruf zu tun?"
Gitarre spielen und Gitarren bauen haben, vom Stimmen des Instruments mal abgesehen, nichts miteinander gemein. Die Künstler stehen bei uns auf der anderen Seite der Verkaufstheke.
Während der Kunde mit dem Chef über "den Ton" schwadroniert, steht der Stift hinten in der Werkstatt und schleift. So ist das!
Ich drücke es mal ganz deutlich aus:Kann man sich vorstellen, dass ein Interessent für eine Metzgerlehre darum diesen Beruf ausüben möchte, weil er gerne Wurst isst? - Die Bankfrau, weil sie auf Geld steht?? Das ist doch wohl albern, oder?!
Es ist auch gar nicht einfach, sich die Liebe zum Instrument zu erhalten, wenn man 8 Stunden am Tag an Gitarren arbeitet. Ich kenne einige Gitarrenbauer, die in ihrer Freizeit kein Instrument in die Hand nehmen. Wer sein Hobby zum Beruf macht, hat halt kein Hobby mehr.
Völlig weltfremd ist die Vorstellung, Gitarrenbau wäre einem anderen Handwerk vorzuziehen, weil es "ein kreativer Job mit Gitarren und coolen Musikern" ist.
Zwar kommen die genannten Kriterien in meinem Beruf vor, in erster Linie sind wir jedoch Dienstleister und Handwerker. Das heißt: Es geht darum, Werkverträge zu erfüllen. Der Kunde XY möchte bis zum bestimmten Termin sein Instrument weiß lackiert und fehlerfrei poliert abholen. Die Band YZ braucht ihre Instrumente unbedingt vor der Tour... Das ist nicht kreativ, nicht cool und nicht mit Musikern, sondern mit Kalender, Konzentration und Engagement. Ich sehe auch keinen wesentlichen, oder kreativen Unterschied zwischen dem Schleifen eines Griffbretts oder dem eines Fensterflügels – außer, dass der Schreiner die bessere Absauganlage besitzt und Ebenholzstaub ätzender beißt. Ach ja – nicht zu vergessen: Die Bezahlung beim Gitarrenbauer ist schlechter.
Nicht zuletzt hat eine Ausbildung im Handwerk nicht zur Aufgabe, Kreativität oder den Umgang mit Kunden zu lehren, sondern den Umgang mit Werkzeugen, Werkstoffen und bestimmten Aufgabenstellungen zu vermitteln. Überleben kann dabei derjenige, der die ihm aufgetragenen Aufgaben am besten und schnellsten löst. Der Markt wird von Anbietern aus Lohnbilligländern regiert und Spinner müssen leider verhungern. Punkt.
Ich wünschte mir eine Bewerbung, in der steht: Ich will Gitarrenbauer werden, weil Handwerk find‘ ich gut, Holz auch, aber Zimmermann is' mir zu gefährlich und Schreiner zu laut. Und außerdem sitze ich lieber bei der Arbeit...
PS: Ich spiele auch Gitarre.
Das ist handfest und bedarf keiner weiteren Zeugnisse.
Es mag bis hier der Eindruck entstanden sein, dass ich meinen Beruf schlecht machen will, aber das ist keineswegs der Fall. Ich liebe meinen Beruf und möchte auch nichts anderes tun.
Jedoch ist meine Motivation, meine Freude eine andere:Es gibt nur wenige Berufe, bei denen man am Abend vor seinem Tagwerk stehen kann, um sich daran zu erfreuen. Einem Buchhalter, der sich alle Tage an einer aufgegangenen Bilanz erfreut, würde ich mit einem kritischen Stirnrunzeln begegnen, eine Backwarenfachverkäuferin, die mir von leeren Verkaufstheken vorschwärmt, belächeln.
Nein – ich bekomme eine Aufgabe aufgetragen und habe glänzende Augen, wenn das Inlay, die Lackierung, der Sonderwunsch sauber ausgeführt wurde. Ich kann mich (nach Feierabend!) stundenlang am "Licht" eines schönen Holzes erfreuen, oder mich an einer gelungenen Violinendecke ergötzen.
Das Größte aber ist es, ein Instrument in die Hände des neuen Besitzers zu legen!
Habe ich die Wünsche des Kunden richtig umgesetzt? Habe ich auch die Dinge bedacht, die nicht ausgesprochen, aber naheliegend waren? Ich kenne nicht viele Berufe, bei denen man Menschen mit seiner Arbeit glücklich machen kann.
Es ist nicht besonders schwer, ein Instrument zu bauen, aber es ist immer wieder eine besondere Freude, einem Musiker sein Instrument gebaut zu haben.
Das ist nicht cool, und hat wenig mit Musik zu tun.
Es ist Dienstleistung im Handwerk.
Übrigens – seit einem halben Jahr spiele auch ich wieder Gitarre. Ich hatte fünf Jahre pausiert.