"grand gtrs", das exklusive Magazin für Premium-Gitarren, hat unser Modell "Europa" getestet.
Wie sagte ein kluger Mann neulich? „Europa ist mehr als die Summe seiner Fehler.“ Damit hat er sicher recht, meinte aber nicht Walter Kraushaars Modell Europa, sonst würde das Wort Fehler im Text nicht vorkommen.
Text von Leonardt Breuken, Bilder von Andreas Huthansl
Der Name unserer vorliegenden Europa bezieht sich allerdings weniger auf unseren Staatenbund als vielmehr auf die Tochter des phönizischen Königs Agenor, die in der griechischen Mythologie eine Geliebte des Zeus war. In der Gitarrenwerkstatt von Walter Kraushaar werden seit 1989 exklusive Gitarren nach Kundenwunsch hergestellt. Mit dem Modell Europa, das von Designer Ralph Martens entworfen wurde, beschreitet man neue, wirklich bahnbrechende Wege. Zum einen ist ihre Form absolut eigenständig. Mit versetzten Schultern, die auf sehr elegante Weise den Cutaway obsolet machen, und einem versetzten Schallloch, dessen Kontur sich in der flüssigen Bewegung der Schulter wiederfindet. Vor allem schafft das die Voraussetzung für eine Deckenverstärkung, die es in dieser Form im Stahlseiten-Gitarrenbau noch nie gab.
Europäisches Forschungsprogramm
Doch bevor ich zu technischen Details komme, muss ich zunächst den ersten Eindruck vom vorliegenden Instrument schildern. Auf den ersten Blick ist die Europa etwas Besonderes. Eigenständige Optik und wunderbare Holzauswahl, wir stoßen wieder einmal auf heimische Köstlichkeiten wie die toll gemaserte Eibe für Boden und Zargen und eine seltene geflammte Alpenfichten-Decke. Der Korpus wirkt relativ zierlich, die Zarge ist nicht besonders tief, also erwartet man kein klangliches Donnerwetter. Doch kaum hat man die Dame im Arm und strummt den ersten Akkord, bleibt einem die Spucke weg. Einen derart sonoren, vollen, ausgeglichenen und bassstarken Ton hätte ich niemals erwartet. Schon bei einem zurückhaltenden Anschlag entfaltet sich der profunde Klang. Auffällig ist außerdem, mit wie wenig Aufwand man hier zu hoher Lautstärke kommt, unsere Gitarre muss man nicht prügeln. Walter Kraushaar erklärt es damit, dass er selbst als Gitarrist eher von der E-Gitarre kommt und bei seinen akustischen Instrumenten, immer das Ziel hatte, sie leicht spielbar und sensibel in der Ansprache zu machen. Das Geheimnis hinter ihrem Klang ist vor allem die Komposit-Decke. Bei der Kraushaar gibt es keine Verbalkung auf der Innenseite der Decke, kein X, Ladder oder sonstiges Bracing. Bei dem aufwendigen Herstellungsprozess wird die wunderbare Alpenfichtendecke mit Unterdruck in eine konkave Form gesogen. Wie eine Tragfläche oder ein Surfbrett besteht die komplette Decke im Inneren aus einem möglichst leichten Konstruktionsstoff, in diesem Falle Balsaholz, das an wenigen neuralgischen Punkten aufgebracht wird. Im Vakuum wird es mit Fichtenholz überzogen und mit einem Druck von 10 Kilo pro Quadratzentimeter in die Form gepresst. So erhält man eine geformte Decke, die im Bereich der Saitenkräfte und an einigen Punkten stärker wird, aber zum Rand hin beweglich bleibt wie ein Lautsprecher. Mit bloßem Auge ist die horizontale und vertikale Wölbung gut zu erkennen. Auch der Boden ist mit einer einzelnen gebogenen Leiste verstärkt, die eine einheitliche Schwingung begünstigt. Bei herkömmlicher Verbalkung entstehen auf einer Decke unterschiedliche Felder, die alle für sich ebenfalls schwingen. Manche stark, andere weniger. Ein versierter Gitarrenbauer kann zwar das Bracing immer auf das jeweilige Holz anpassen, doch die Komposit-Version der Kraushaar funktioniert immer gleich, dadurch ist der Klang der Europa sehr gut reproduzierbar.
Europäische Einheit
Die Ohren werden von der Europa verwöhnt, trotzdem kommt das Auge nicht zu kurz, denn alle Details sind sehr liebevoll und akkurat ausgeführt, am Boden findet man kleine Intarsien, die Bünde sind spiegelblank poliert, der durchstochene Kopf ist penibel gearbeitet und mit gemaserter Eibe furniert. Der Hals besteht aus stark geflammtem Ahornholz, das durch Kirschholzstreifen dekorativ stabilisiert wird. Durch ihre schlanke Form liegt die Gitarre nahe am Körper an, das Halsprofil ist sehr kompatibel und sicher bei Custom-Anfertigungen auf alle gitarristischen Vorlieben perfekt anpassbar. Insgesamt ergibt sich ein sehr unmittelbares, nahes Spielgefühl, und esmacht wirklich Spaß, die Finger über das Ebenholz-Griffbrett flitzen zu lassen. Sie spielt sich leicht, schnell und sauber. Und wie bei einer E-Gitarre mit zugeschaltetem Kompressor hat man immer einen sehr gleichmäßigen Ton, nichts wird verschluckt oder durch zu leichten Anschlag unterschlagen. Der einzige Nachteil, wenn man dies als solchen sehen will, ist, dass, selbst wenn man extrem hart anschlägt, nicht noch mehr rauskommt als sowieso schon da ist. Jedoch ist das, was man da hört, schon absolut ausreichend und dazu sehr offen und klar. Da das Modell Europa eine sehr individuelle, eigenständige Gitarre ist, die ich mit keiner anderen vergleichen kann, bewegt man sich als Musiker auf neuem Terrain und wird unweigerlich beeinflusst von dem einzigartigen Instrument. Man wird seine Spielweise anpassen, wird manches anders angehen und dadurch auch musikalisch profitieren.
Europahymne
Es ist extrem erfreulich, ein solch tolles Instrument spielen zu dürfen. Zum einen, weil es in allen herkömmlichen Parametern wie Materialauswahl, Verarbeitung und Klang nur Bestnoten verdient. Zum anderen, weil diese Gitarre wirklich etwas Neues ist, etwas, das man so noch nicht in den Fingern hatte, und das will bei einem langen Testerleben wirklich etwas heißen. So kann man die Europa mit keinem anderen Gitarrenmodell vergleichen, sondern sie nur nehmen, wie sie ist, eigenständig, musikalisch und hervorragend!