Ästhetik - Was klingt, was klingt nicht?
Ein guter Freund verdiente sein Geld an den Wochenenden mit der Beschallung von Festen. Anlässlich einer türkischen Hochzeit musste ein Soundcheck für die Band gemacht werden. Der Sänger war nicht zufrieden zu stellen. Trotz ausreichender Monitore und hoher Lautstärke war er unglücklich. Irgendwas fehlte. Mein Freund drehte und schraubte und als ihm nichts kluges mehr einfiel, drehte er genervt und verärgert das Gain hoch, bis es clippte. Der Sänger riss die Arme hoch! Das war es! Super!
Vielleicht war sein Tonideal der Klang aus dem Druckkammer Lautsprecher der örtlichen Moschee?
Andere Geschichte: Als ich in den 90ern in der Dominikanischen Republik Urlaub machte, war auf der Insel gerade eine unglaubliche Schnulze Nr.1 Hit. Sie lief überall und ständig: Und – wie auf der Insel üblich: Volles Brett! Alles, was die örtliche Anlage hergab – und entsprechend verzerrt! Hingerissen von der herzzerreißenden Schmonze bat ich den Besitzer einer Strandbar, mir eine Kopie zu machen und schon am kommenden Tag erhielt ich eine liebevoll gemachte Kasette, die sogar ein kopiertes Inlay besaß. Ich legte sie in den Walkman und....?! volles Brett verzerrt! Das gehörte offenbar dazu! Ich dachte, das wären die gequälten Anlagen gewesen – nein – die wollten das so – es ist ein Zeichen ihrer Lebensfreude!
Man kann sich jetzt darüber lustig machen und das für ungebildet oder rückständig halten – aber Obacht!
Wie sieht das denn mit unserer Klangästhetik aus? Ich meine, aus physikalischer Sicht?
Nehmen wir mal die Jazz Gitarre:
Eine Erfindung von Geigenbauern, die ziemlich genau die Konstruktionsmerkmale einer Geige auf eine Gitarre übertragen haben:
- Geschnitze Geigendecke mit F-Löchern und Längsbalken
- Geschnitzer Boden
- Saitenhalter am Endknopf befestigt
- aufgestellter Steg
- überstehendes Griffbrett
Das Ergebnis ist ein im Vergleich zu jeder Flattop Gitarre erbärmlich klingendes Instrument. Eine physikalische Katastrophe. Eine plärrende Mittenhupe.
Die Erbauer haben einfach außer Acht gelassen, dass man bei der Geige mit dem Bogen die Kraft eines trainierten Armes auf die Saite überträgt – so laaaaaaaaaaaange man will, während wir die Gitarrensaite nur anschubsen, wie eine Murmel!
→ Tipp – Kullerkullerkuller.....Ende
Würde man die Unterschiede auf Autos übertragen, könnte man sagen: Bei der Geige spielt der Spritverbrauch keine Rolle. Energie ist da bis der Arm abfällt.
Die Gitarre dagegen ist ein Energiespar-Fahrzeug. Es kommt darauf an, mit einem Fingerhut voll Sprit nicht nur möglichst weit zu kommen, sondern auch noch gut dabei auszusehen!
Was für eine generalblöde Idee, das Eine auf das Andere übertragen zu wollen! Im Pizzicato klingt auch eine Guaneri für den Eimer. Dafür ist sie nicht gedacht! Aus objektiv physikalischer Sicht konnte das nicht gut gehen!
Aber....
Die Musiker standen vor 60 Jahren 2 Meter vor ihrem Publikum und der fesche Gitarrist mit der Geigengitarre sah viel geiler und moderner aus als das, was man von daheim kannte. Mit einer altmodischen flachen Gitarre mit rundem Loch spielte Opa seine Volkslieder. Moderne Musik spielte man jetzt mit modernen Instrumenten. Jawoll!
Wie das klang, als es noch keine Pickups gab?
Sagen wir mal... Modern!
Letztlich ist es dem Publikum zu allen Zeiten egal gewesen, weil „modern“ zum Einen anders sein musste, weil aber auch die Mehrheit der Zuhörer -
a) ohnehin keine eigene Meinung, und
b) als junge Menschen auch keine vergleichende Erfahrung besitzen.
Mein ältester Sohn ist z.B. mit zischelnden MP3s und End – kompremierten, verzerrten Smartphone Aufnahmen aus Youtube groß geworden. Bässe kennt der nur aus dem Auto seines Kumpelz Alex, mit seinem-Mnn-MMn-MMn-MMn-MMn... Subwoofer versucht, seinen alten Panda zum Käfer aufzupumpen. Und Dynamik kennt er nur von Chinaböllern.
Natürlich klingt die Realität anders, aber wen interessiert das, wenn es um „moderne“ Musik geht und was weiß ich alter Vater schon davon?
Anderes Beispiel: Seit Jahrzehnten wird gelehrt, Frederic Martin hätte das X-Bracing erfunden, weil Gitarristen den Halsansatz am 14. Bund haben wollten und so durch das Verschieben des Steges eine neue Kraftverteilung notwendig wurde. So habe ich es noch vor 20 Jahren bei meiner Meisterprüfung hin geschrieben...
Heute denke ich, das ist eine Fehlinterpretation. Martin hat eine stabile – eine Westerngitarre gebaut. Eine Gitarre, mit der man reisen, am Feuer sitzen, die man herum werfen kann!
Immer, wenn eine Gitarre mit Fächerbeleistung Druck auf die Decke bekommt, reißt sie neben dem Steg. Bei einem X-Bracing läuft genau dort ein Balken entlang. Da geht nichts kaputt!
Natürlich hat eine stabile Decke einen Einfluss auf den Ton. Er verliert an Bässen und wird mittig.
Ich habe mich als Gitarrenbauer immer daran gestoßen, dass eine Nylonsaiten Gitarre ein breiteres Frequenzspektrum im Bass besitzt, aber die Mehrheit der Musiker nicht.
Für sie muss eine Westerngitarre wie eine Martin klingen. Weil die Musik ihrer Jugend eben so klingt.
Witzigerweise wird den frühen Erfindern unserer populären Instrumente heute unterstellt, sie hätten sich vorgenommen, eben das Ergebnis zu erzielen, was dabei heraus gekommen ist. In den meisten Fällen lässt sich diese These aber nicht halten. Wenn man die Dobro und das Banjo mal ausnimmt, die als besaitete Vuvuzelas konzipiert waren, waren die Ergebnisse der anderen Produkte wohl eher Zufall. Der Ton der Westerngitarre war ihrer Stabilität geschuldet, der Ton der Jazzgitarre war ein Unfall, und Fenders Vorlieben lagen wohl eher beim Country. Mochten Leo oder Jim verzerrte Gitarren? Hatte man bei Gibson den Wes Montgomery Sound konzipiert? Was hielten die überhaupt von Lester Paul und was hielt Leo vom Knopfler Sound?
Es ist wohl eher so gewesen, dass Musiker mit dem aktuell vorhandenen Equipment einen neuen Sound kreierten und dieser wiederum einen Standard für das Konsumentenohr setzte – selbst, wenn es seltsam klang. Modern musste auch seltsam sein. Damals wie heute.
Der Kreis schließt sich, wenn der Cover Musiker heute wieder alles dafür anstellt, genau dieses Tonideal für sein Publikum darbieten zu wollen.
Das gilt für den Türkischen Sänger, wie für den Jazz Gitarristen, für den Bluesrocker, wie für den Flatpicker.
Tonästhetik ist halt eben nicht in unseren Genen angelegt, sondern wird durch Konsum erworben und ist eine Reproduktion bekannter Muster.
So weit, so gut.
Wer jetzt aber den Fehler begeht, dies zum Status Quo zu erheben, vergeht sich an der Schaffenskraft und musikalischen Intelligenz seiner Idole.
Gerade die sind nämlich aus dem Kreis ausgebrochen und haben die neuen Geräte respektlos zweckentfremdet.
Gitarren „müssen“ keineswegs wie eine XY klingen! Es sei denn, man gibt eine Kopie von Johny Cash, Jimi Hendrix , John Lennon oder wem auch immer.
Sollte man das nicht tun, und ich hoffe inständig, dass wir nicht noch 50 Jahre Versionen von„Little Wing“ hören müssen, die noch authentischer als das Original sind, dann müssen Instrumente anders werden und sich ihr Ton von dem aus der Vergangenheit deutlich unterscheiden.
Wenn ich mir also am letzten Tag des Jahres etwas für die Zukunft wünschen darf, dann sind das neue Ideen im Instrumentenbau und neugierige Musiker, die experimentieren und probieren.
In diesem Sinne wünsche ich allerseits frohes Schaffen!