Form bewahren!

Ich glaube, ich trage Eulen nach Athen wenn ich behaupte, dass innere Werte unverkäuflich sind.
Klar – wer will schon seine freundliche Seele verkaufen? Das würde doch niemand tun!?

Aber auch anders betrachtet ist es sehr viel einfacher, die Qualität eines Produkt auf seiner Oberfläche zu bewerben. Darum muss Obst und Gemüse vor allem gut aussehen. Niemals findet man einen Hinweis auf dessen Geschmack. Der Geschmack spielt überhaupt keine Rolle!
Europäische Richtlinien legen fest, welche Größe und Form ein Obst oder Gemüse haben muss, um als solches auf den Markt gelangen zu dürfen. Von Geschmack ist dabei nicht die Rede.
So kommt es vor, dass eine Tomate eine leicht säuerliche Note hat, dann nach dem Brackwasser des Anbaugebietes schmeckt und mit einer leichten Gurkennote abgeht. Ich hatte auch schon mal Anteile von Melone oder Banane dabei.
Wichtig bei der Tomate ist die kräftig rote Farbe, bei der auch die orange Beleuchtung in meinem Supermarkt hilft. Eine pralle, glatte Haut sagt mir: „Ich platze fast, vor lauter Saft!“
Fast!

Natürlich sind platzende Tomaten der Supergau, auch wenn ihr wasserklarer Saft schon lange keine Flecken mehr macht. Aber Tomaten dürfen nicht kaputt gehen! Tomaten dürfen NIE kaputt gehen!

Sicherlich hätten sich Züchter und Gentechniker auch mit dem Geschmack der Gemüse beschäftigen können, aber was will man mit schmackhaften Früchten, die eine Delle haben? Erst mal muss die Tomate strahlend und unbeschadet auf den Tisch des Verbrauchers.

Darum haben die Hersteller nicht nur die Form und Größe, sondern auch die Belastbarkeit aller Früchte strengen Normen unterworfen.
Eine moderne Tomate muss den Fall aus einem Flugzeug aus 3000 Meter unbeschadet überstehen. Um den Aufprall zu simulieren, werden Tomaten mit 240 Km/h auf Asphalt geschmettert. Früchte, die dabei Schaden nehmen, werden aus dem Verkehr gezogen.

Klar! So etwas kann dem Verbraucher nicht angeboten werden! Bei den Tomaten, die den Crash unbeschadet überstanden haben, wird die Deformation im Asphalt gemessen. Es war eine Herausforderung an die Wissenschaft, eine Tomate zu entwickeln, die den Asphalt total zerstört und dabei prall, strahlend und rot bleibt.

Die Gentechniker haben dabei einige Rückschläge hinnehmen müssen. Als man aber auf die Idee kam, die Tomate mit Gensequenzen von Nashörnern zu kreuzen, stellten sich die ersten Erfolge ein. Freilich war man noch nicht bei der Belastbarkeit heutiger Früchte, aber ein Anfang war gemacht.
Die Kartoffelkanone zeigt ja sehr deutlich, wohin die Reise gehen kann. Bald werden wir auf Urangeschosse und dergleichen vollkommen verzichten können und Kriege ausschließlich mit biologisch abbaubaren Waffen führen. Die Tomate gilt inzwischen als die Kanonenkugel aus dem Gewächshaus.
Dabei hat sich jedoch ein anderes Problem eingestellt, was im Taumel des Erfolgs etwas aus dem Fokus geraten ist... Man kann diese Früchte nicht mehr so einfach zerteilen. Mehr als das: Sie sind zu einer echten Herausforderung für die Stahlindustrie geworden. Eine moderne Paprika oder Tomate mit einem handelsüblichen Küchenmesser ritzen zu wollen kommt dem Versuch gleich, mit einem Stück Sachertorte ein Loch in einem Leopard Panzer  schlagen zu wollen. Man darf dieses Bemühen durchaus als „niedlich“ bezeichnen.

Die vor einigen Jahren erfundenen Keramikmesser sollen zwar laut Bewerbung ewig ihren Neuzustand erhalten, da dieser aber bei weitem nicht ausreicht, um die Haut der biologischen Superkugeln auch nur zu verformen, kann man sie bestenfalls für Amokläufe gebrauchen. Aber wer will schon mit einer weißen Klinge Amok laufen? Muss man sich da nicht schämen? Anyway...

Da ich selbst dem altmodischen Gedanken zerteilter Gemüse – also der Herstellung von Salaten – nachhänge, habe ich deren Bearbeitung lange Zeit mit gefaltetem Damaszener Stahl versucht. Das ist immerhin der Stahl, mit dem die Mauren vor 1000 Jahren die Eisenpanzer ihrer europäischen Gegner durchbohrten. Die Japaner haben die Kunst des Waffenschmiedens dann auf die Spitze getrieben und Schwerter hergestellt, die ein im Wasser treibendes Rosenblatt zerteilen konnten. Blüten, Blüten... Ich weiß inzwischen, warum DIE Blüten ins Wasser geworfen haben und keine Tomaten! Die Tomaten haben in meinen Messern nämlich anständige Beulen hinterlassen!

Ich liebe bunten Salat.

Am liebsten täglich!

Ich verstehe natürlich, dass eine Tomate straff und gesund aussehen muss.
Aber muss ich wirklich ein Jedi-Ritter werden und den Umgang mit dem Laserschwert erlernen, oder sollte ich nicht einfach auf Blattsalat umsteigen und die Tomate dem Militär überlassen?