Jeschnitten?

W. Kraushaar 12/2001

Ich bin ein toleranter Mensch. Ich kann einiges ertragen – so lange es mich nicht persönlich angeht. So ist es mir beispielsweise grundsätzlich vollkommen schnurtz, welche Auffassungen und Überzeugungen Backwarenfachverkäuferinnen vertreten. Ich will ja nur in einem kurzen, feststehendem Ritual Geld gegen Brot tauschen. Mit der Erfindung der Brotschneidemaschine ging jedoch ein tiefer Riß, oder besser Schnitt des Mißtrauens durch das ehedem ungetrübte Verhältnis zwischen Konsument und Verkäuferin.

So eine Maschine kostet bestimmt Geld. Ich schätze jetzt mal – so um die 3000 Mark. Ich bin noch nicht dabei gewesen, wenn ein schmieriger, vollschlanker Bäcker im fleckigen, ehemals weißen T-Shirt seine Verkäuferinnen zusammen faltet und ihnen nahelegt, „deä Mascheng föör hömmele jeld am laufen ze kräje..“ Wie gesagt – ich war noch nicht dabei, aber so muß es wohl sein.
Wie anders kann man sich den Umstand erklären, daß auf die Bestellung eines Brotes immer und sofort die Frage „jeschnitten?!“ kommt?
Der Bäcker um die Ecke verschenkt beim Kauf von 10 Broten das Elfte, wenn man sich immer brav ein Kärtchen abstempeln läßt. Ich halte Menschen, die Einkaufsschlangen verursachen, weil sie Rabattmärkchen einfordern und dann die Geheimnummer ihrer Cashkarte vergessen haben, zu den würdelosesten Vertretern unserer Gattung. Ich verachte sie. Dennoch konnte ich – zumal die Backwarenfachverkäuferin immer wieder danach fragte, ob ich denn auch ein Stempelkärtchen besäße, das freundliche Geschenk nicht mehr zurück weisen. Ich hätte als Begründung zwischen einer Horde von Rabattgeiern darstellen müssen, daß ich derlei Schacherei als peinliche Armseligkeit empfinde. In meinem Viertel fand man schon Menschen mit einem Messer zwischen den Rippen, die sich geringerer Vergehen schuldig gemacht hatten.
Die ersten drei Brote gingen noch ganz einfach: Zu Anfang gab ich auf die obligate Frage „Jeschnitten?“ ein knappes, aber bestimmtes „Nein“ zur Antwort. Ab dem vierten Brot – ich war ja nun ein Kärtchenkunde, zog es mir beim Gang zum Bäcker bereits etwas den Hals zu. Ich bestellte absichtlich immer das gleiche, in der Hoffnung, die Backwarenfachverkäuferin könne bald, wie ein pawlowscher Hund, durch mein Gesicht und die immer gleiche Bestellung im immer gleichen Tonfall („ein altfränkisches Brot bitte...“) , assoziieren, daß sie bei mir nicht „jeschnitten“ fragen soll. Leider war dies ein Irrtum..

Der fette schmierige Bäcker hatte ihr offenbar zu hart zugesetzt. Vermutlich hat er ihr mit Kündigung gedroht – man weiß es nicht.
Sie hatte das Wort, das sie nicht sagen sollte noch nicht beendet, als ich laut und klar entgegnete: „NEIN - ICH MÖCHTE MEIN BROT NICHT GESCHNITTEN HABEN!!!“ Sie sah mich erschrocken an und ich war mir sicher, daß sie sich mein Gesicht merken wollte.
Gut so.
Jetzt esse ich als alleinstehender nicht jeden Tag ein Brot und nach drei Tagen wurde mir mulmig. Auf dem Weg zum Backshop überlegte ich erstmals, ob ich das Kärtchen nicht einfach vergessen und mein Brot im Supermarkt kaufen sollte. Ich verwarf den Gedanken. Komm, nur noch fünf...
Bein Betreten des Ladens wußte ich: Sie hatte mich nicht erkannt.
„Wird dat jesch...?“
„Hören Sie! Ich bin auf meinen eigenen Beinen mit meinem eigenen Geld hier ganz alleine und aus freiem Willen hin gekommen – glauben Sie nicht, daß ich in der Lage wäre, meinen Wunsch an Sie zu richten, wenn ich mein Brot geschnitten haben möchte?
Nein – ich möchte mein Brot nicht geschnitten – ich möchte mein Brot NIE geschnitten. Ich besitze ein japanisches Messer aus gefaltetem Damastzener Stahl. Damit kann ich selber schneiden – damit kann ich ganz hervorragend selber schneiden!! Haben Sie mich verstanden??“
Sie sah mich erschrocken an. „Isch wollt‘ ja nur frahren“ Ja – sie hatte gefragt und ich hatte geantwortet! Mein Westwall war hochgezogen. Gebackene Panzersperren! Das Stopschild stand.

Als ich in der kommenden Woche wieder vor der Theke stand, warf mir die Verkäuferin aus ihrer Tätigkeit einen kurzen Blick zu. Nach zwei Sekunden hielt sie inne und sah mich wieder an. Ihre Gesichtszüge wurden starr – sie schien etwas blaß.
Aaaaha!
Na also.
Souverän gab ich meine Bestellung auf, doch dann geschah etwas erschütterndes: Die Bewegungen der Backwarenfachverkäuferin verlangsamten sich. Sie schien einen ungeheuren Kampf mit sich auszufechten. Im Umdrehen verlangsamte sie noch mal ihr Tempo – sah sich auf die Hände und fragte dann leise: „Bleibt dat am Stück?“
Ich war fassungslos!
Ja – sie tat mir plötzlich leid. Was hatte diese Bäckersau mit ihr nur angestellt? Hat er sie mit französischem Stangenbrot mißhandelt? Hat er sie mit obszön geformten Hefezöpfen penetriert? Hat er sie auf der Brotschneidemaschine genommen? 15 Pfennig, 15 Pfennig, aah, aah, jaaa... Mach mir die 15 Pfennig, du Sau...
Dieses Monster war ein skrupelloser Verbrecher der alles tat, um seine weiblichen Angestellten gefügig zu machen. Die Frau vor mir war das zerrüttete Opfer eines perversen Brotschneidemaschinen - Fetischisten! Klarer Fall!
Ich konnte nicht antworten. Mit zitternden Händen schlug sie ein Papier um den Laib. Ich legte das abgezählte Geld in die Schale und verließ die Filiale wortlos.
So ging das nicht.
Ich durfte dieses geschundene Wesen nicht noch mehr quälen. Sie hatte genug gelitten!
So verfiel ich auf den Gedanken, mein Brot zu einem Zeitpunkt zu erstehen, zu dem es noch so heiß ist, daß man es kaum anfassen, geschweige denn maschinell zerteilen kann. Ich stellte also meinen Wecker auf halb 6. Ich halte diese Zeit für unchristlich und Müdigkeit wirkt auch nicht appetitanregend, aber es ging schließlich nur noch um zwei Stempel auf meinem Kärtchen.
„Ein altfränkisches Brot bitte.“
Ihre Augen blitzten – die Pupillen wurden eng, der Gesichtsausdruck panisch.
Mit verzweifelter Stimme preßte sie hervor: „Dat kann isch aber noch nich scheiiden!!“
Ich warf mein Kärtchen auf die Theke und lief aus dem Geschäft!

Seit dem kaufe ich nur noch Brötchen im Backshop eines Supermarktes.
Die Backwarenfachverkäuferin dort fragt mich immer, wenn sie die Tüte auf den Tresen gelegt hat: “Jeht dat so?!“
Natürlich erwartet keiner von einer Tüte, daß sie geht. Im Gegenteil! Ich würde eine Tüte voller Lebensmittel, die sich von selbst bewegt, mit Recht und Fug reklamieren. Allein der Gedanke ist ekelhaft! Ich erwarte von einer Brötchentüte, daß sie sich nicht von dem Platz rührt, auf dem ich sie abgelegt habe.
Aber gewiß muß sie diese Frage stellen. Bäcker sind halt Säue und ich möchte auch gar nicht mehr wissen, was der Chef mit seiner Angestellten treibt.
Schließlich ich bin ein toleranter Mensch.