Ei Tie

W. Kraushaar 1999

Informationstechnik – das ist der wichtigste Markt des neuen Jahrtausends. Kein Mensch wird es wagen, an diesem Satz zu zweifeln. Dabei ist das erste Jahr von Tausend noch nicht herum. (Wenn es überhaupt erst angefangen hat...)Messen, Börsen, lange Schlangen in Handygeschäften sprechen eine eindeutige Sprache. Yahoo hat einen Börsenwert, der die halbe Deutsche Industrie überflügelt. D.h., wenn es noch eine deutsche Industrie gibt. Inzwischen sind ja alle Eigentümer über die ganze Welt verteilt. Ist Mercedes jetzt ein deutscher, oder ein amerikanischer Konzern? Haben WIR heimlich Crysler aufgekauft? Iss ja auch egal. Die Globalisierung hat‘s jedenfalls möglich gemacht und Mutter der Globalisierung ist die Ei-Tie!
Ssst – flitzen die Daten durchs Netz! SMS, E-Mails, Programme, Downloads.... Daten, Daten, Daten...
Ein moderner Betrieb ist ohne Handy, Homepage und Internetzugang zum Untergang verdammt, so muss man fast meinen. Auf jeden Fall wird auf diese Weise modernes Denken offenbart. Meine kleine Hausbank hat kürzlich ihre Filiale voll digital umgestellt. Jetzt stehen dort nur noch Automaten, mit denen man überweisen, einzahlen und Geld abholen kann. Es gibt auch einen Automaten, mit dem man seine Geldkarte wieder auflädt. Wenn sich diese Karte durchsetzt, könnte man den Währungswechsel 2002 virtuell vollziehen. Noch sieht man vereinzelt einen Angestellten zwischen den Maschinen huschen, um deren Bedienung zu erklären, oder einen Schaden zu beheben, was nicht selten der Fall ist. Es ist jedoch zu erwarten, dass wir uns künftig durch die Bedienung der Bankgeräte quälen, wie durch Windows 2000, während ein Versicherungsvertreter, der einen Teil der Filiale von der Bank gemietet hat, Versicherungen gegen Internetschäden zu verkaufen sucht...

Was die Geldkarte angeht, so bin ich schon sehr erschrocken, mit welchem Leichtsinn die Menschen ihr Konsumverhalten öffentlich dokumentieren. Die Daten, die da bei Banken eingehen, sind wesentlich Ausdrucksstärker, als ein Blick in die getragene Unterhose. Das ist Ei Tie: „Dieter Doof, 34, verjubelt sein gesamtes Gehalt in den ersten 10 Tagen des Monats bei Auto-Protzheim, Schic-Moden und Techno-World. 10% gehen für Lebensmittel drauf, 90% davon für Alkohol...“ Danach ist er pleite. Die ewig beanspruchte Kreditlinie ist ja ohnehin bekannt... Sind das die selben Leute, die 1984 gegen die Volkszählung waren?

Vielleicht sehe ich aber auch Schreckgespenster.
Wenn ich’s mir recht überlege, waren meine Versuche, Dinge über das Internet zu regeln, bislang meist erfolglos. Wer schon mal versucht hat, per E-Mail einen Kontakt zu seinem Online Provider zu schaffen weiß, was ich meine. Der Versuch verhallt im Nichts! Es ist leichter, mit dem lieben Gott zu konferieren, als eine erfolgreiche Email bei t-online abzusetzen. Aber auch kleine Firmen sind nicht viel besser. Dort ist es zwar keine Borniertheit, wie bei den Börsengängern, aber Blödheit. Denen hat jemand eine Seite ins Netzt gestellt, „weil ohne hat man ja praktisch keine Schangse mehr - am Markt....“ Seit dem steht die Seite da und mit Glück findet sie der Inserent selbst – vorausgesetzt, der Provider arbeitet. Auch meine Freunde überraschen mich zuweilen mit dem Satz „Deine Mail? weiß ich nichts von – habe schon seit Wochen nicht mehr nachgesehen..“
So muss es nicht wundern, dass der gestern noch hoch gejubelte E-Commerce den Bach runter geht.... Hätte man sich vielleicht auch früher denken können. Wenn dieses Prinzip Erfolg versprechen würde, käme der Big Mac nicht aus der Hand eines versklavten Albaners, sondern aus dem Automaten.

Gewiss wird viel Umsatz mit Computern, Handys und auf nicht jugendfreien Seiten gemacht.
Die Technik ist auch da, aber was hat das alles mit Information zu tun?
Werden hier Informationen ausgetauscht, Wege verkürzt ? Hat sich das Leben vereinfacht? Geht alles viel schneller -– viel effizienter? Ich weiß keinen, der durch die ganze eingesparte Zeit reich geworden ist. Vielleicht, weil sie die Zeit jetzt zum Lesen und Schreiben von SMS brauchen.

„Hamm wa noch Kippen im Haus?“, stand neulich morgens auf dem Handy einer Freundin zu lesen. Die SMS war vom Vortag. Immerhin – ihr Mann hätte die Frage auch allen seinen anderen Frauen für das gleiche Geld senden können.

Er hat aber nur die eine Frau, und weil der Zigarettenautomat kaputt war, ist er eben zur Tanke gelaufen. Dort steht immer ein Mensch hinter der Kasse.