Ist er steif, wenn er hart ist?
W. Kraushaar 08/08
Na klar! Werden jetzt alle ausrufen, aber was hat der Kraushaar für komische Themen?
Erstens, antwortet der Kraushaar, schreibe ich von Gitarrenhälsen und zweitens ist die Antwort grundsätzlich voreilig.
Instrumente werden traditionell aus bestimmten Hölzern gebaut: Hälse macht man gerne aus Ahorn oder Mahagoni, Griffbretter macht man gerne aus Ebenholz oder Palisander, schwingende Decken aus Fichte oder Zeder und allen Hölzern kommt dabei eine Bedeutung zu. Hälse sollen den Saitenzug tragen und sich nicht verziehen, Griffbretter hart und Abriebfest sein und Decken sollen leicht sein und schwingen. Dazu kennen wir ein paar Eckdaten der Hölzer, nämlich deren Dichte, Härte und Elastizitätsmodul.
Elastizitätsmodul? Hää? Was ist das? Das E-Modul ist die Kraft, die ein Körper seiner dauerhaften Verformung entgegensetzt. Dazu gibt es einen Haufen allgemein zugänglicher Zahlen zu den uns bekannten Hölzern. Die sagen mir z.B. dass das E-Modul von Eiche höher ist, das das von Fichte. Klingt logisch. Eiche ist ja auch hart und schwer. Warum soll sie nicht auch elastischer sein?
Aber irgendwann beschlich mich doch die Skepsis. Was sind das für Zahlen? Wie ist man dazu gelangt? Wie kann man z.B für Fichte nur eine Zahl haben, wo wir doch alle wissen, dass ihre Belastbarkeit enorm vor der Richtung der einfallenden Kräfte abhängt? Wer hat diese Zahlen ermittelt und wie sah die Versuchsstrecke aus?
Kurzum: Ich wollte es genau wissen.
Wir bauten eine Biegevorrichtung, auf der Kantstäbe von 10×10×500mm mit einem Draht in der Mitte bei einem Gewicht von 3000 Gramm nach unten gezogen wurden. Die Durchbiegung wurde gemessen. Dabei haben wir z.T. sowohl den Verlauf der Jahrringe, als auch die Feinjährigkeit beachtet. Zum Schluss wurden die Stäbe gewogen.
Die Fragen waren:
- Welches Holz ist das biegefesteste?
- Wie stark ist der Unterschied bei stehenden und liegenden Jahren?
- Welchen Einfluss hat die Feinjährigkeit auf die Steifheit?
- Gibt es eine Kausalität zwischen Härte, Dichte und Steifheit?
- Stimmen unsere Messwerte mit den bekannten Werten in etwa überein?
Hier also unsere Messergebnisse:
Holzart | Durchbiegung 1 / mm | Gewicht / g | Dichte | Biegefestigkeit 2 | |
---|---|---|---|---|---|
stehende Jahrringe | liegende Jahrringe | ||||
Ebenholz | 5,75 | 5,85 | 57 | 11,4 | 100% |
Fichte fein | 6,23 | 6,71 | 27 | 5,4 | 92,30% |
Paduk | 6,25 | 6,68 | 36 | 7,2 | 92,00% |
Eiche | 7,21 | 7,43 | 36 | 7,2 | 79,75% |
Buche | 7,39 | 7,32 | 36 | 7,2 | 77,81% |
Meranti | 7,6 | 7,77 | 27 | 5,4 | 75,66% |
Wenge | 7,8 | 7,45 | 42 | 8,4 | 73,72% |
Sipo | 7,9 | 8,31 | 34 | 6,8 | 72,78% |
Ahorn grob | 8,97 | 9,05 | 31 | 6,2 | 64,10% |
Fichte grob | 9,13 | 9,86 | 20 | 4,0 | 62,98% |
Cedro | 9,4 | 9,52 | 27 | 5,4 | 61,17% |
Linde | 11,24 | 10,08 | 27 | 5,4 | 51,16% |
Ahorn fein | 11,33 | 11,71 | 31 | 6,2 | 50,75% |
Platane | 12,83 | 12,83 | 30 | 6,0 | 44,82% |
Rüster | 14,05 | nicht messbar | 26 | 5,2 | 40,93% |
Nein, wir haben uns nicht vermessen! Wir haben manche Hölzer sogar zur Kontrolle von verschiedenen Stämmen geschnitten und die Werte verglichen. Sie lagen nah bei einander.
Wie sind diese Daten zu bewerten?
Nun – erst mal sind es auch nur Zahlen. Zahlen, die für eine Eigenschaft stehen. Der Eigenton wird ja noch durch Härte und Dichte und Gesamtgewicht bestimmt. Wir haben hier auch keine revolutionären Neuentdeckungen gemacht. In der täglichen Arbeitspraxis sind diese Fakten im Gitarrenbau bekannt und finden auch Anwendung. Aber sie sind meines Wissens nie klar ausgesprochen worden:
- Die Fichte gehört nach dem Ebenholz zu den steifsten Materialien, die wir im Gitarrenbau haben.
- Die Richtung der Jahre macht kaum einen messbaren Unterschied.
- Nadelhölzer gewinnen an Steifheit mit der Anzahl der Jahrringe - bei europäischen Laubhölzern ist es umgekehrt.
- Härte, Dichte und Biegesteifheit haben nichts mit einander zu tun.
- Die öffentlich bekannten Zahlen zum E-Modul entsprechen nicht unsere Beobachtungen.
Die Ergebnisse und die Arbeitspraxis zeigen: Härte und Biegefestigkeit stehen bei Holz in keinem Verhältnis. Es ist eher so, dass eine mono-direktionale Ausrichtung langer Holzfasern, also lange Faserstränge in einer Richtung Holz steif machen. Diese Anforderung erfüllt die Fichte in idealer Weise. Sie besteht nur aus den harten, festen Spätholzstreifen und der luftigen Frühholzmasse als „Füllstoff“. Das macht sie zu einem organischen Verbundwerkstoff, der nur eines kann: Steif sein. Da die Fasern des Spätholzes nur in einer Richtung ausgerichtet sind, hat die Fichte eindringenden Körpern wenig entgegen zu setzen, ist also weich. Sie lässt sich aus demselben Grund auch sehr leicht spalten.
Die Platane ist das genaue Gegenteil: Ihre Faser ist in alle Richtungen gewachsen wie ein Wollknäuel. Sie ist darum praktisch nicht spaltbar, ist zäh wie Leder und kann unter Wärme in jede Form gebogen werden, ohne zu brechen.
Aber auch Ebenholz überragt die Fichte kaum in ihrer Biegefestigkeit. Ihre starken Zellwände und der feste Verbund machen sie zwar sehr hart, aber zu Lasten der mono-direktionalen Ausrichtung.
Der „Verbundwerkstoff“ Fichte wird mit der Anzahl der Jahrringe schwerer und fester.
Diese Tatsache wird gerne von Fichten und Zedern auf alle Hölzer übertragen.
Das ist falsch!
Die Jahrringe eines Laubholzes haben keinerlei tragende Funktion. Wie der Versuch eindrucksvoll zeigt, nimmt die Steifheit bei Ahorn sogar mit der Menge der Jahre ab! Aus der Praxis weiß der Gitarrenbauer auch, dass sich „mildes“, also feinjähriges Laubholz wesentlich leichter schnitzen lässt, als grobes. Es wird also auch weicher.
Entsprechend entpuppt sich auch die alte Geschichte als Mähr, stehende Jahrringe sein wesentlich tragfähiger als liegende. Zwar messen wir einen geringen Unterschied, aber der ist fast zu vernachlässigen. Der Verlauf der Jahre hat eher optische Gründe.
Fazit: Die Gitarrenbauer vergangener Generationen haben es gewiss nicht anders gemacht als ich: Sie haben ein Stück Holz angefasst, daran gebogen, geklopft, es in der Hand gewogen und es dann für gut oder schlecht befunden.
Aber die Tradition ließ nicht viel Platz für Experimente und die Verfügbarkeit von Materialien war sehr beschränkt. Heute mischen sich Kulturen und Traditionen und die Welt steht uns offen; nicht nur auf dem Holzmarkt, sondern auch im Bezug auf Informationen über Instrumente und deren Bau. Das hat dazu geführt, dass sich Konstruktionen und Materialien in neuen Instrumenten gefunden und etabliert haben, die ursprünglich aus ganz anderen Erwägungen so gebaut wurden. Die Jazzgitarre ist da ein schönes Beispiel – eine Geige mit Bünden. Hier entstand, gepaart durch uralte Arbeitsweisen, eine neue Tradition und keiner kam je auf die Frage: Ist Ahorn eigentlich das geeignete Material für eine Gitarre? Im Gegenteil. Man begann, den schmucken Ahorn aus dem Geigenbau auch für E- und Westerngitarren zu verwenden. Dabei zeigt sich seit vielen Jahren der Trend, dass Musiker und Instrumentenliebhaber den schillerndsten Materialien stets die besten Eigenschaften zusprechen. Das ist, wenn man ihre physikalischen Eigenschaften betrachtet, nicht haltbar. Wenn auch erlaubt ist, was gefällt; unsere Augen sind zum Hören nicht geeignet!
Will man aus der Tradition heraus treten und Instrumente mit neuen Eigenschaften konstruieren, so stößt man mit traditionellen Werkstoffen schnell an Grenzen Man muss auch manchmal das hinterfragen, was an den alten Traditionen überhaupt dran ist. Manches ist gut und klug, manches ist überholt und manches ist schlicht Unsinn! Darum kommen wir nicht umhin, genau zu betrachten und abzuwägen, welche Eigenschaft für welchen Zweck die geeignete ist.