Was ist temperierte Stimmung?
Als Windows 95 auf den Markt kam, ging ein Geschrei durch die Presse: Das System habe Fehler. Monatlich werden Tausende von Autos in die Vertragswerkstätten zurückgerufen, weil der Airbag auslöst, wenn man den Scheibenwischer und den Zigarettenanzünder gleichzeitig betätigt, und alle hatten ihre helle Freude, als ein Journalist sein MB Spielzeug vor einem Elch zum Kippen brachte, auch wenn Otto Normalverbraucher eher eine ganze Schulklasse niedermähen würde, bevor er ein solches Lenk - Bremsmanöver wagte. Schon gar nicht, wenn er Vorfahrt hat...
Kurz gesagt: Dinge, die nicht vollkommen sind, finden in unserer Gesellschaft meist keinen Zuspruch. Wer würde dabei auf den Gedanken kommen, daß es noch immer Dinge auf diesem Planeten gibt, für die es keine perfekte Lösung gibt?
Eines von diesen Dingen ist unsere "wohltemperierte Stimmung".
Damit ist unser bekanntes Tonsystem gemeint, das sich in der gesamten westlichen Hemisphäre seit 300 Jahren verbreitet hat.
Pythagoras von Samos fand schon 550 v. Chr. anhand schwingender Saiten heraus, daß die einzelnen Töne einer Tonleiter im ganzzahligen Verhältnis zur gesamten Saitenlänge stehen.
Das klingt komplizierter, als es ist. Anhand der reinen Intervalle wird das leicht deutlich:
Die Oktav des Grundtons einer Saite bekomme ich, wenn ich sie halbiere (Verhältnis 1 / 2). Die Quinte erhalte ich, indem ich die Saite im Drittel verkürze (Verhältnis 2 / 3). Die Quarte, in dem ich sie im Viertel teile (3 / 4) ...u.s.w. Wenn man dieses Pytagoräische System, was innerhalb einer Oktave unbestritten ist, jedoch mathematisch angeht, tritt ein Problem auf: Wir bekommen unsere Intervalle nicht mehr schlüssig in einem Tonsystem unter, wenn dieses System mehrere Oktaven umfassen soll.
Ein Beispiel: Wenn ich 12 Quinten übereinander spiele, müßte ich zu einem Ton gelangen, der 7 Oktaven über dem Grundton liegt. Mathematisch hieße das:
(2 / 3)12=0,0077073 ist gleich (1 / 2)7=0,0078125. Auch die Pytagoräische Terz kommt rechnerisch nicht zu einer Gleichung. Die Differenzen sind deutlich und hörbar. Weil aber Musiker früher immer auch Mathematiker und Naturwissenschaftler waren, stritten sich Jahrtausende lang die, die der Mathematik den Vorzug gaben mit denen, die ihre Ohren gebrauchten. Grob vereinfacht und wenig recherchiert sage ich jetzt mal: Mit Adolf Werckmeister setzte sich ab 1686, unterstützt durch Johann Sebastian Bach (Das wohltemperierte Klavier) in Europa die "wohlklingende Temperatur" durch. Diese besagt nichts anderes, als daß man nur noch einen reinen Intervall zuläßt: Die Oktav. Alle anderen Intervalle werden seit dem mathematisch vermittelt. Dadurch mußte die Reinheit der Quinten jedoch vernachlässigt werden. Auch alle anderen Intervalle mußten Ungenauigkeiten hinnehmen. Bei den Terzen sind sie besonders stark und machen feinen Ohren zu schaffen!
Auf dem Hintergrund kann man verstehen, warum es den Beruf des Klavierstimmers gibt. Beim Klavier trifft der Hammer einer Taste (außer bei den Bässen) drei Saiten. Damit lassen sich die Ungereimtheiten des Systems etwas verwischen. Konzertpianisten haben aber auch ihren Stimmer auf Turneen dabei, um das Instrument auf die Tonart des gespielten Werks ein zu stimmen.
Da haben es die Gitarristen schon schwerer : Sechs Saiten, temperierte Bundierung, Dehnung der Saite, Steifheit der Saite und wenig Möglichkeiten auszugleichen. Mancher Gitarrist wird schon festgestellt haben, daß trotz "perfekt" gestimmtem Instrument manche Harmoniewechsel hart, ja fast unsauber klingen. Feine Ohren werden sich ewig an diesem Tonsystem stoßen, das ein Kompromiß ist, für das aber bisher noch keine bessere Lösung gefunden wurde. Damit muß man als Musiker einfach leben lernen.
Jawoll.. leben lernen. Ganz hilflos sind wir nämlich nicht. Manchmal tut man sich einen Gefallen, das Stimmgerät einfach weg zu legen und bei einem besonders reibendem Harmoniewechsel das Ohr entscheiden zu lassen. Diese Plastikdosen mit Zeigern und LED’s sind eine unersetzbare Hilfe, wenn es schnell gehen soll, oder wenn man in tune mit den anderen sein will, ohne überflüssigen Krach zu machen. Letztlich sollte man jedoch nicht vergessen, daß wir Musik mit den Ohren machen. Ein guter Gitarrenlehrer kann lehren, wie man mit angepasster Spieltechnik und geschicktem Lagenspiel viele Probleme umschifft.
Allerdings soll das Spiel auf der Gitarre niemals zum Kampf ausarten! Bevor man die Gitarre an die Wand wirft, weil man der Intonationsprobleme nicht Herr wird, ist es klug, seinen Gitarrenbauer zu besuchen!
D.h. man kann es auch später, doch dann ist es teurer!