Zucken ist well!

W. Kraushaar 10/2005

Ich habe in den vergangenen Wochen meine regelmäßigen Besuche des Schwimmbads wegen einer akuten Ü-70 Party Allergie etwas schleifen lassen. Am 2. Sonntag im September schießt das Freibad alljährlich seine Pforten und der Wechsel zum kleinen Hallenbad in Kombination mit morgendlicher Dunkelheit und dem nervigen Rentnergedränge; das schlug mir auf das Gemüt.
Heute jedoch nahm ich die Zeitumstellung und die strahlenden Morgensonne zum Anlass, das Winterdomizil des Wassersports noch einmal aufzusuchen. Im großen Becken war erwartungsgemäß an Schwimmen gar nicht zu denken. Zu meiner Erleichterung stellte ich aber fest, dass die berühmten Turmspringer des Vereines „Neptun-Aachen“ das Springbecken noch nicht belegt hatten.  Ach ja – die Zeitumstellung! Wie wunderbar!

Jedoch war irgend etwas geschehen, hatte sich verändert, in den wenigen Tagen meiner Abwesenheit....
Als ich mich ins Becken gleiten ließ bemerkte ich schon, dass etwas nicht stimmte. Die gucken ja alle mit den Köpfen so komisch aus dem Wasser, dachte ich; und wackeln so und sind ganz langsam! Nachdem ich mich abgestoßen, und einen Blick unter die Oberfläche geworfen hatte, war es klar: Die schwimmen nicht – sie laufen durchs Wasser! Das ist jetzt nicht neu... Früher sah man schon mal so ein Bivi Huhn – (Bivi, das bedeutet: bis Vierzig - danach kommt ja nur noch der Uhu – also unter Hundert) also ein Bivi Huhn, das der Meinung war, seine Arschbacken wären zu wabbelig, was sie veranlasste, wie ein Baby, mit ungelenken Beinbewegungen, meist noch in einer Schwimmweste, (jedoch ohne Schnuller!) durch das Wasser zu strampeln. Aber hier war es nicht EIN Huhn (vor allem waren auch noch Kerle dabei) es waren ALLE! Das ganze Becken zuckte und wackelte!


Irgend ein Wellness-Papst hat den Schafen wohl in die Lauscher geflüstert: „Lasst alle Würde und Anmut fahren! Seid wie die Epileptiker! Ergebt euch in Spasmen und Zuckungen! Strampelt durch die Becken, wie Hunde in Schwimmwesten! Das ist nämlich well!“
Vermutlich würden sie sich auch den Finger in den Po stecken und Kikerikii rufen, wenn das von den Medien entsprechend vorgehampelt würde.
 
Ich vertrete ja die These, dass die Vorturner dieser Gesellschaft böse Zyniker sind, weche untereinander Wetten abschließen, ab wann der deutsche Michel sagt: „Nää, das mache ich nicht mehr mit, das ist ja peinlich..“ Und sie schlagen sich die Schenkel wund vor lachen, wenn es ihnen gelingt, das Konsumschaf mit Skistöcken, Baseballkappen, Tätowationen, Klämmerchen in den bunten Haaren und Schwimmwesten versehen, über jedes hingehaltene Stöckchen springen zu lassen.

Gibt es überhaupt eine denkbare Grenze, einen Punkt, an dem der Zeitgenosse nicht mehr mit macht? An dem er sagt: „Dieser Unsinn ist erniedrigend, würdelos und schwachsinnig! Macht – kauft – seht – hört euren Mist selber?!?“ Oder haben die Talk- und Gerichtsshows, die Dayly-  und Reality-Soaps, die Dummwerbung und der Massenzwang alle Hirne gar gekocht?

Ich wünschte mir den Trendsetter, der den Menschen im Lande sagt, sie sollten doch einfach mal für einen Moment aufhören, so unerträglich gurkenblöde zu sein.
Aber so etwas macht  keine Quote und hat darum auch keine Erfolgsaussichten.