Wenn Stoffe für uns denken...
Menschen aus meinem Umfeld, die der Homöopathie anhängen, haben in der Regel immer und überall die kleinen Flaschen mit den Kügelchen: In der Handtasche, in der Küche, auf dem Esstisch, in der Sofaritze... Von homöopathischen Medikamenten geht offenbar keine Gefahr aus. So sehr die Anhänger dieser Medizin deren Wirksamkeit beschwören, so sorglos sind sie im Bezug auf falschen Umgang, Überdosierung, Fehldiagnose oder Medikamenten in Reichweite von Kindern. Von Nebenwirkungen ist nichts bekannt.
Ich verstehe das nicht so recht. Nebenwirkungen sind per Definition „unerwünschte Wirkungen“. Wenn ein Medikament wirksam ist, wo her weiß es dann, welche Wirkung ich mir gewünscht habe? Wie kann es sein, dass die unerwünschte Wirkung ausbleibt, wenn mein Kind heimlich eine ganze Flasche der Kügelchen verputzt, oder wenn ich mich im in der weitläufig über den Wohnraum verteilten Hausapotheke (darum der Name) vergriffen habe, aber die erwünschte Wirkung eintritt, wenn ich die richtigen Kügelchen zur passenden Krankheit genommen habe?
Irgendwie will kein Schuh draus werden, aber die menschliche Logik kennt Abkürzungen und Schleichwege und so bleibt am Ende die Geschichte vom Karl-Heinz, der seine Angina einfach nicht weg bekommen hat, obwohl er schon drei mal Antibiotika bekommen hat, aber das ist ja meistens der Anfang vom Ende und dann hatte Erika diese Belladonna dabei....
In der Gitarrenwelt gibt es erstaunliche Parallelen.
Dass Menschen hören, was sie hören wollen, ist ja ein alter Hut.
Vor einiger Zeit machten wir einen Test, bei dem 10 Musiker den Unterschied verschiedener Materialien auf dem Steg einer Gitarre hören sollten. Sie konnten keine Unterschiede erkennen. Als ich den Test bei Youtube veröffentlichte, kommentierte sofort ein Zuschauer, der das mit einer schlechten Kamera aufgenomme Substrat des Tests auf seinen heimischen Computerboxen beurteilte: „Das Messingböckchen klingt am besten!“
Witzigerweise entstehen im Hardware Bereich immer wieder Trends, die genau in die entgegen gesetzte Richtung gehen. So wird im einen Jahrzehnt alles besonders massiv und schwer aus Bronze oder Messing ausgeführt, und in der kommenden Dekade macht man es aus Aluminium. Beides ist total super und eine großartige Verbesserung. Auch hier scheint das Material allein zu wissen, was es zu tun und was es zu unterlassen hat.
Irgendwie will auch da kein Schuh draus werden, aber irgendwas muss doch dran sein, denn die Leute reden da so viel drüber und der Peter hat das auch an seiner Paula.. und die klingt seit dem unglaublich..
Besonders anstrengend empfinde ich das Thema Lack. Von 1000 Musikern können keine zwei einen neuen Kunststoff- von einem Nitro Lack unterscheiden. Dennoch würden 50% dem Nitro Lack den Vorzug geben. Tief in das Bewusstsein eingebrannt sitzen die Geschichten von den gut klingenden, alten Instrumenten und von dem leichten Überzug, der das Instrument einfach besser schwingen lässt. Jedes Instrument.
Im Gegensatz zu den vorher genannten Beispielen gibt es hier jedoch tatsächlich Nebenwirkungen.
Nitro Lack altert schnell, wird gelb, matt, und bekommt Risse, wenn die Weichmacher verfliegen.
Für unsere hochwertigen Instrumente verwenden wir moderne Lacke, die dauerhaft, Licht beständig und abriebfest sind. Ich empfehle auch niemandem einen NC Lack. Im Gegenteil. Ich mache auf die Alterungsprozesse aufmerksam und muss sogar einen Aufpreis für die Mehrarbeit berechnen, denn NC muss in wesentlich mehr Schichten aufgetragen werden.
Dennoch entscheiden sich viele Kunden für eine Nitro Lackierung, denn irgendwas muss ja dran sein, an den Geschichten....
Und so hatte ich jetzt neulich einen Kunden, der reklamierte, dass die teure Lackierung auf seiner Gitarre nach einem Jahr überall zu reißen begann. Hatte ich ihn nicht ausführlich und ausdrücklich auf die Problematik hingewiesen? Zumindest hatte ich kein Protokoll, bei dem er ein Häkchen hinter den Satz gemacht hatte: „Ich bin über die Konsequenzen meiner Entscheidung aufgeklärt worden und entscheide mich aber lieber so, wie es all die klugen Leute im Internet machen...“
Ich werde mir, das ist kein Spaß, künftig unterschreiben lassen, wenn jemand gegen meinen fachlichen Rat etwas anderes haben will, aber hier habe ich es tatsächlich versäumt und ich konnte darum das Gegenteil nicht beweisen.
So bot ich an, die Decke zum halben Preis abzuziehen und neu, diesmal mit Kunststoff Lack zu überziehen.
Als mein Gegenüber mich daraufhin jedoch fragte, ob das auch gewiss keine negativen Auswirkungen auf den Ton habe, erlaubte ich mir einen kleinen Moment nervlichen Versagens! Hatte sich da die Katze in den Schwanz gebissen?
......
Ich hatte meinen Hosenboden im Mund und das Licht pulsierte so rot in meinen Augen, als ich von der Lampe herab stieg.....
Dies sind die Nebenwirkungen homöopathischer Gitarrenveredelung: Gegen jede Vernunft und Logik hält sich die Überzeugung, dass ein NC Lack nach selbständiger Analyse des Instruments, dessen Schwächen unterdrückt und die Stärken herausstellt. Idividuell und auf angepasst auf jedes Instrument. So haben belegte Instrumente mehr Höhen und weiche Decken straffere Bässe, träge Instrumente sprechen besser an und leichte tragen besser... Alles wird irgendwie besser... Mehr Bässe, mehr Mitten, mehr Höhen...
Das können moderne Materialien nicht. Statt wunderheilerischer Fähigkeiten haben sie langweilige „technische Merkmale“.
Zum Beispiel sind reißen sie nicht. Sie bleiben einfach, wie sie sind.
Kein Raum zur phänomenalen, unerklärlichen, feinstofflichen Veränderung.
Das ist nicht so gut.
Dann lieber wieder die Abkürzungen und Schleichwege menschlicher Logik, die keine rationalen Erklärungen für ihre Weisheiten braucht, wie die des Elektrotechnik Ingenieurs, der uns mitteilte: „Ich kann es mir auch nicht erklären, aber die offenen 5-Weg Schalter klingen irgendwie offener, als die geschlossenen...!“
Ja, gewiss...